Deutschland 1967/68. 16 mm, s/w, 43 Minuten.
Der Film zeigt die Kampagne gegen den Springerkonzern durch die Studentenbewegung und einen Teil ihrer Folgen.
Zum Film
Mein Ziel damals war, einen theoretisch komplexen Sachverhalt darzustellen und Leuten zu vermitteln, denen die Argumentation der APO (Außerparlamentarische Opposition) fremd war. Die Erkenntnis, dass das, was in den Zeitungen steht, nicht nur „Information“ ist, sondern bearbeitet, kommentiert, entstellt und bestimmten Interessen dienend sein kann, traf mich damals mit ungeheurer Wucht. Die war gemischt mit Scham darüber, dass mir diese Ahnung von gesellschaftlichen Zusammenhängen relativ spät und nur durch glückliche Umstände zuteil wurde. Die Einsichten verdankte ich ganz eindeutig der sich bildenden Studentenbewegung, an deren Teach-ins und Vorlesungen ich von außen als Zuhörende und Lernende teilnahm und später, indem ich mich mit diesem ungeheuren Ausbruch von Neugierde und Fragen, die alles erlaubten und die mir die Studentenbewegung auszumachen schien, identifizierte.
Brecht die Macht der Manipulateure folgt nicht dokumentarisch den verschiedenen Aktivitäten der APO zur Springerkampagne, sondern versucht, die Hauptargumente der Kampagne nachzuvollziehen und zwar so, wie ich sie verstanden habe. Wichtig war mir vor allem, in einem Film über Manipulation nicht selber zu manipulieren. So verzichtete ich auf alles „Atmosphärische“ wie Musik, schnelle Schnitte, weitgehend auch auf Kamerabewegungen. Die Ausnahmen fallen als Mittel auf.
Die spielfilmartigen Sequenzen zeigen die stark stilisierte Kommunikation zwischen WELT-Lesern, den Manipulateuren, und den BILD-Lesern, den Manipulierten. Dazu benutzte ich lockere Konstruktionen: Vertreter westdeutscher Konzerne, die sich damals zu einem Arbeitskreis zur Rettung der Berliner Wirtschaft zusammengeschlossen hatten, knüpften diese Rettung an politische Bedingungen. Eine davon war, die beginnende Protestbewegung, deren Widerstand gegen den Vietnamkrieg sich auch mit dem Anteil der westdeutschen Wirtschaft an diesem Krieg befasste, auszuschalten und die Presse dazu einzusetzen.
Schauspieler, alle „Sympathisanten“ der APO, die in keiner Weise wie Konzernherren aussahen, spielten diese auf dem Weg nach Berlin im Auto, Flugzeug und Zug durch „des Spitzbarts Zone“ reisend und machen diese Bedingungen klar, indem sie in Originalzitaten aus der WELT reden. Die Wirkung des Erfolgs dieser Bemühungen auf die BILD-Leser, zu Hause und am Arbeitsplatz, und der Widerstand der Studenten sowie die ungeheure Aggression, der sie ausgesetzt waren, wird ebenfalls in Spielhandlungen gezeigt, in denen jeweils die Zeitungen eine Rolle spielen.
Dokumentarisch werden diese Argumentationsketten noch einmal wiederholt: Auf einer Abgeordnetensitzung des Berliner Senats wird zum Verbot des SDS aufgerufen, studentische Arbeitskreise entwickeln ihre Thesen und werden später bei den Protesten gezeigt. Die Überlegungen und Taten derjenigen, die den Film machen, die Darstellung ihrer eigenen Parteilichkeit, bilden ein weiteres Element des Films.
Die wirklichen Ereignisse warfen den Film dann über den Haufen. War es vorher darum gegangen, eine Interessenidentität zwischen Springerpresse und Wirtschaftsinteressen zu beweisen, bei der nicht nur das Recht auf Aufklärung auf der Strecke blieb, sondern die auch erklären sollte, warum jede Art von Widerstand und Gegenöffentlichkeit diffamiert werden mussten, so war dieser Zusammenhang durch das Attentat auf Rudi Dutschke, dessen Attentäter ja zugab, durch die Springerpresse zu dieser Tat angeregt worden zu sein, nun plötzlich allzu klar. Darum endet dieser Film mit den unmittelbaren Folgen dieses Attentats auf die Studentenbewegung. Er verlässt sozusagen sein ursprüngliches Thema und zeigt – ziemlich optimistisch – den Anfang des Willens zur Veränderung aller unterdrückerischen Lebensverhältnisse (wobei die Frauen zum erstenmal mit eigenem Anspruch erwähnt werden), an dem die Studentenbewegung schließlich zerbrach.
Die Premiere im Frühjahr 1968 in der FU Berlin war ein totaler Reinfall. Das Publikum wollte die eigenen Heldentaten sehen, von denen es gerade damals viele gab, verlangte nach Selbstdarstellung und nicht nach Analyse. Aus diesem Grund ist Brecht die Macht der Manipulateure zunächst wenig in Berlin, mehr in Westdeutschland und erst in den folgenden Jahren, als die Studentenbewegung schon vorbei war, öfter gezeigt worden. Außerdem wurden alternative Verleihmöglichkeiten erst entwickelt. Der Film hat einige technische, vor allem tonliche Mängel in zwei, drei Szenen, weil wir an ihm auch das Handwerk lernten.
Helke Sander, 1975
Hinzuzufügen bleibt noch, dass der Film auch heute noch immer wieder mal läuft.
Die 17.000.- DM, die er damals kostete, hatte ich vom finnischen Fernsehen, Suomen Televisio, das dafür auch eine finnische Version verlangte. Der Film wurde dann aber in Finnland nicht ausgestrahlt, weil das Fernsehen offenbar massiv vom Springerkonzern unter Druck gesetzt wurde, wie mir damals mündlich mitgeteilt wurde: Zeigt das Fernsehen diesen Film, wird Springer sein Papier nicht mehr aus Finnland beziehen.
Anfang der neunziger Jahre bestellte der Konzern eine VHS-Kassette des Films, um sie auf Schulungen über die Geschichte des Konzerns einzusetzen.
Helke Sander, 2003
Produktion: Helke Sander mit Unterstützung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin , Suomen Televisio
Regie und Buch: Helke Sander
Beratung, Redaktion, Assistenz: Harun Farocki
Kamera: Skip Norman. Ton: Ulrich Knaudt
Literatur zum Film:
Thomas Elsaesser: ‚It started with the Images‘ – Some Notes on Political Filmmaking after Brecht in Germany: Helke Sander and Harun Farocki. In: Discourse (Berkely), 7, 1985, S. 95-120
ERKLÄRUNG 5.9.2020
3 Schüsse auf Rudi
Angeblicher Kurzfilm von Harun Farocki, der aus den Zwischentiteln des oben genannten Films von Helke Sander besteht und unerlaubt und ohne Helke Sander zu fragen, von Harun Farocki zu seinem Film erklärt wurde.
Worum geht es?
Harun Farocki und ich, Helke Sander, studierten beide im ersten Jahr der dffb 1966 (Deutsche Film-und Fernsehakademie Berlin) und haben uns gegenseitig bei vielen Arbeiten in verschiedenen Funktionen unterstützt. Weil unsere Interessen und Arbeitszeiten sich unterschiedlich entwickelten, „verblich“ mit den Jahren der Kontakt.
Jetzt, mehr als 50 Jahre später, erfahre ich, dass Harun Farocki den Film „3 Schüsse auf Rudi“ in seine Filmografie aufgenommen hat, einen Film, der vollständig aus den Zwischentiteln meines Films besteht.
Es handelt sich um Kreidezeichnungen auf der Straße, in denen es in kurzen Schlagwörtern um Pressemanipulation und ihre Folgen geht.
Diese Titel haben wir, Harun Farocki, der bei dem Film als mein Assistent fungierte und ich gemeinsam entwickelt und zwar überwiegend schon 1967, als der größte Teil meines Films gedreht wurde.
Ich weiß noch sehr genau, wie schockiert ich war, als ich kurze Zeit nach den Schüssen auf Rudi Dutschke im Taxi vom Kopierwerk kommend mit dem letzten Material des Films ausgerechnet an der Kreuzung Joachim-Friedrich/ Ku-Damm länger halten musste, weil es wegen eines Staus, Polizei und vieler Menschen, die dort herumstanden, nicht weiterging. Den Grund dieses Auflaufs erfuhr ich dann erst zu Hause.
Abgesehen von dem Schock, den dieses Ereignis auslöste, dachte ich, dass mein Film nun gewissermaßen umsonst gedreht worden war. Die Hetze gegen die Studentenbewegung war plötzlich allen klar und musste nicht mehr lange bewiesen werden. Der fast fertige Film schien mir nun vergeblich gedreht. Ich war so verstört, dass ich am Abend nicht mehr in die TU und abends vor das Springerhochhaus zu den sofort einsetzenden Protesten mit meinem Team gezogen bin, weshalb ich netterweise Material von anderen Kommilitonen geschenkt bekommen habe, die diese Ereignisse gefilmt hatten. Sich mit Material auszuhelfen, war ein hin und wieder praktiziertes und unbürokratisches Verfahren – mit dem Einverständnis der Filmemacher/innen.
Durch diese Schüsse auf Rudi Dutschke veränderte sich nicht nur der Film, sondern auch einige Zwischentitel wurden neu formuliert und das ganze Ende des vorher fast fertigen Films.
Es ist also nicht so, wie es Harun Farocki in seiner Erklärung zum Film „Drei Schüsse auf Rudi“ beschreibt, dass die Titel nach diesen Ereignissen konzipiert wurden. Mein Film war zu diesem Zeitpunkt fast abgedreht und musste nun einen neuen Schluss kriegen.
Vor allem wird von Harun an keiner Stelle erwähnt, dass es sich um die Titel meines Films handelt, ich tauche in den Credits gar nicht auf, sondern lediglich Skip Norman als Kameramann und Ulrich Knaudt als Tonmann meines Teams, obwohl ich die Produzentin des Films bin. Harun gibt als Produktion die dffb an.
Warum rege ich mich auf?
Es geht nur um 4 Minuten, die einer anderen Filmografie hinzugefügt werden.
Das alles liegt zudem mehr als 50 Jahre zurück. Ich wusste bisher nicht, dass dieser Film überhaupt existiert und bin nie von Harun gefragt worden, ob er dieses Material verwenden kann. Es kam zufällig heraus, weil ich vom Harun Farocki Institut gefragt wurde, ob ich etwas zu dem Film, der verschollen war und erst kürzlich im Zeughaus-Archiv wieder auftauchte, etwas sagen könne, weil er aus der Zeit unserer Zusammenarbeit zu sein schien. Das war er tatsächlich.
Ich rege mich auf, weil dieses Verhalten noch nach dem Tod Haruns unserer langen Freundschaft Schaden zufügt, was außerdem in einer sattsam bekannten Tradition steht: Namen von Frauen werden entweder gleich oder später fallengelassen.
Das ist mit Inge Müller passiert, deren Name bei Stücken wie z.B. dem „Lohndrücker“, die von ihr und Heiner Müller gemeinsam verfasst wurden, heute bei Wikipedia nicht mehr erwähnt wird.
Das gleiche geschah mit Hella Wuolijoki, deren Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ schon existierte, ehe sie es als populäre Volks-Dramatikerin mit Brecht noch einmal umarbeitete und sogar auf dem Vertragspunkt bestand, ihren Namen gleichberechtigt mit seinem zu benennen, was offenbar schon eine Reaktion auf Gerüchte war. Auch ihr Name ist normalerweise nicht mehr zu finden. Diese Liste verweist auf eine lange Geschichte der Auslöschung von Frauen und kann mühelos erweitert werden.
Aus diesem Grund habe ich die weitere Verwendung dieses Kurzfilms verboten, sowie die Nennung in der Filmografie von Harun Farocki.
© Helke Sander 2020