Offener Brief an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Frau Ministerin Dr. Christine Lambrecht und Pressereferat
Mohrenstraße 37
10117 Berlin
Frau Ministerin Dr. Franziska Giffey, BMFSFJ, zur Kenntnisnahme
Sehr geehrte Frau Ministerin,
EIGENTLICH EINE SCHÖNE IDEE. In den U-Bahnhöfen von Berlin und möglicherweise auch in anderen Städten hängen seit kurzem große Plakate an den Wänden, die auf eine Aktion des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz unter dem Motto: WIR SIND RECHTSSTAAT.de hinweisen. Es sind recht viele Plakate, die uns mit immer neuen Themen an verschiedenen Stationen überraschen. Sie wollen auf einfachste Weise und bildlich verständlich machen, was wir dem Grundgesetz alles verdanken.
Ein löbliches Vorhaben, das leider so schwammig und vorsichtig formuliert ist, dass es seinen Zweck verfehlt. Das möchten wir an dem Plakat über Religionsfreiheit deutlich machen: Es zeigt zwei lachende junge Männer auf einem Tandem. Der Vordere trägt eine Kippa, der Hintere eine Art Tubeteka, ein Käppi, wie es häufig von asiatischen Moslems getragen wird. Groß auf dem Foto steht folgender Text:
Etwas kleingedruckter folgt als reiner Text:
Der Rechtsstaat ist das Rückgrat unserer Demokratie. Er schützt die Glaubensfreiheit und die freie Ausübung der Religion. So halten wir als Gemeinschaft zusammen. wir-sind-rechtsstaat.de
Schön wär’s, können wir da nur sagen. Das Foto tut so, als sei es dokumentarisch aufgenommen. Weit kämen die Jungs auf dem Fahrrad bei ihren jeweiligen Glaubensbrüdern da allerdings nicht, sollten sie es tatsächlich mal versucht haben.
Die Werbeagentur hatte offenbar den Auftrag, gegenseitige Toleranz bildlich und textlich zu veranschaulichen und dabei über die Realitäten großzügigst hinwegzusehen. Tatsache ist, und z.B. in vielen Büchern von Hamed Abdel-Samad, Seyran Ates, Necla Kelek, Gilles Kepel, Ahmad Mansour, Constantin Schreiber, Susanne Schröter oder Alice Schwarzer nachzulesen, dass religiöse Muslime normalerweise auch antisemitisch erzogen werden. Vielfach dokumentiert ist, dass sie ihren Glauben über das Grundgesetz stellen. Wir kennen die Zahlen gewaltbereiter Neonazis. Die Zahl der Salafisten, die ihren Einfluss ständig vergrößern, was sich in vielen Alltagsdingen bemerkbar macht, ist fast ebenso hoch. Darum ist es wirklich albern und geht an der Wirklichkeit vorbei, dieses Bild von Harmonie zu verbreiten.
Weit effektvoller wäre es, wenn Sie schreiben würden,
• dass jeder hier glauben kann, was sie will, solange der Glaube und daraus folgende Taten nicht gegen das Grundgesetz verstoßen,
• dass Menschen nicht verfolgt werden dürfen, wenn sie sich von der Religion lossagen möchten, in die sie hineingeboren wurden,
• dass auch Religionslosigkeit akzeptabel ist und durch das Grundgesetz geschützt.
Großartig wäre auch ein Plakat, das darauf hinweist,
• dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind – möglichst in mehreren Sprachen,
• dass Gewalt gegen Frauen und Kinder verboten ist,
• dass Frauen ein Recht auf Berufstätigkeit und ein eigenes Konto haben.
Und das Notruftelefon sollte groß abgedruckt werden:
www.hilfetelefon.de/sicherdirhilfe.
Tel. 08000 116 016 und online
Jetzt ist die gut gemeinte Idee lediglich eine Verschwendung von Steuergeldern. Das schrecklichste Problemfeld in unserem Land und weltweit – die Gewalt gegen Frauen, der tagtägliche Femicid – wird nicht einmal erwähnt!
Es gibt genügend kompetente Leute, die Sie beraten könnten.
Berlin, 20. 10. 2019
gez. Halina Bendkowski, Berlin
gez. Prof. Dr. Renate Möhrmann, Berlin
gez. Prof. Dr. Luise F. Pusch, Hannover/Boston
gez. Prof. Helke Sander, Berlin
gez. Solveig Senft, Ulm, SISTERS e.V.
gez. Eva Quistorp, Theologin, MdEP a.D.
Wenn Sie mitmachen wollen, können Sie den Link zu dieser Seite an das Justiz- und an das Frauenministerium schicken: Presse@bmjv.bund.de, Presse@bmfsfj.bund.de.
Alle Plakate der Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“ finden Sie hier.