Sieben Frauen – Sieben Sünden

SIEBEN FRAUEN – SIEBEN SÜNDEN

Deutschland 1986/87. 16 mm, Farbe, 109 Minuten. Regie: Ulrike Ottinger, Helke Sander, Chantal Akerman, Bette Gordon, Maxi Cohen, Laurence Gavron, Valie Export. 2. Episode von Helke Sander: VÖLLEREI? FÜTTERN! 13 Minuten. Produktion: Helke Sander Filmproduktion. Buch: Helke Sander, Dörte Haak. Kamera: Nurith Aviv. Ausstattung: Jürgen Rieger. Maske: Rolf Baumann. Schnitt: Bettina Böhler. Produktionsleitung: Madeleine Remy. Aufnahmeleitung: Hildegard Westbeld. Redaktion: Brigitte Kramer

Darsteller: Gabriela Herz (Eva), Michael Dick (Adam)

Erstsendung: 27.1.1987 (ZDF)

 

Aus Völlerei wird Füttern

Ein mittelalterliches Wort für das Verbot von Streiks und Demonstrationen hieß SÜNDE.

Die armen Leute, die für ihr täglich Brot kämpfen wollten, wurden zu Verbündeten des Teufels; sie sollten in Angst und Schrecken versetzt werden und mit der Drohung, sonst in der Hölle zu schmoren, an Kämpfen um Brot, an Lebenslust, Neugier (Hochmut) gehindert werden.

Wir konnten so etwas Unzeitgemäßes  wie eine Todsünde nicht mehr liebevoll oder satirisch kritisieren. Damit hätten wir die Berechtigung dieses Herrschaftsinstrumentes ja anerkannt. Außerdem sind diese „Sünden“ zu einer Zeit geboren, als Frauen und gerade Frauen massenhaft vernichtet wurden.

Wir wollten also einen Film machen. Aber wir wollten die Sünden nicht anerkennen. Aber wir fanden: irgendetwas hat EVA tatsächlich falsch gemacht, was mit dem ESSEN in Verbindung steht: Wir konnten es direkt beobachten: die Mutter, die ihr viel zu dickes Kind unentwegt mit Nahrungsmitteln stopft, die Frau, die ständig ihrem Mann auf der langen Autofahrt die Apfelschnitzchen und die Pralinen in den Mund schiebt, die Kochbücher, die Frauen geradezu empfehlen, Konflikte mit gutem ESSEN beizulegen oder auszugleichen.

Aus Evas ursprünglicher Neugierde, aus ihrem Erkenntnisinteresse und ihrer Wachheit, mit der sie sich selbst, ohne erst um Erlaubnis zu bitten, die Welt angeeignet und ihre eigenen Fragen formuliert hat, aus dieser Wachheit, mit der sie zum Apfel gegriffen hat, um Neues zu schmecken und zu erproben, sind nun schon kleinliche Gesten geworden. EVAS Neugierde machte sie menschlich, machte sie zum Menschen. Ihre Neugierde war ihre Intelligenz. Im Film verliert sie beim Apfelessen ihr Tierkleid – während ADAM normalerweise immer noch Haare auf der Brust hat.

Generös möchte sie abgeben, aber ADAM, der sich selbst Tabus setzt, lehnt ihre Entdeckung ab, obwohl er angezogen ist von ihrer dadurch entstandenen Schönheit. Er wird böse. Er wird besonders böse. Das versteht EVA nicht. Sie rennt ihm hinterher, sie möchte ihm klar machen, dass nichts BÖSES daran ist, den Apfel zu essen. Sie VERSTEHT ADAMS Ablehnung nicht. Sie versteht sie bis heute nicht. Und läuft ihm darum bis heute mit ihren Äpfeln hinterher.

Dörte Haak und Helke Sander,1986

 

Zum Film

Die Geschichte zur Entstehung der Menschheit wird einer Revision unterzogen. Eva – so heißt es in der Bibel – angelte sich die Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen gegen ein Verbot, für das sie keinen Grund erkennen konnte. Und sie verführte Adam, ihr gleichzutun. Diese Auflehnung gegen eine Autorität  wurde, wie man weiß, bestraft. Seither sucht die Menschheit nach dem verlorenen Paradies. Manchmal gibt es eine Ahnung davon, wie es gewesen sein mag.

Eva, in der Geschichtsanalyse von Helke Sander und Dörte Haak, angelt ebenfalls nach dieser Frucht. Sie gibt ihrer Neugier nach, die zum Motor ihrer Entwicklung wird. Sie verhält sich im positivsten Sinne aggressiv, lernt das Leben besser kennen und entwickelt sich. Sie wird zum Menschen, verliert ihr Fell und das Tierhafte und nimmt nettere Formen an. Und sie gibt – großherzig und gutherzig – von allem ab, was ihr so gut tut: sie lässt Adam mitessen. Adam, weitaus angepasster als seine Eva, hält das Donnerwetter, einen Wetterumschlag, für ein Zeichen vom Zorn Gottes. Provoziert hat den in seinen Augen natürlich Eva. Adam ist sauer. Eva versteht die Welt nicht mehr, die sie soeben begriffen hatte. Im Versuch, Adams Ablehnung zu überwinden, setzt sie fort, von dem abzugeben, was sie ursprünglich zum Menschen gemacht hat: vom Apfel, vom Essen. Bis aus ihrem Geben, ihrem Füttern, Nötigung wird.

Die beiden Autorinnen Dörte Haak und Helke Sander stützen sich auf Beobachtungen aus der Gegenwart, wenn sie den Versuch zu einer anderen Bibeldeutung machen: auch heute noch geben die Frauen den von Eva ererbten Impulsen und Instinkten nach und füttern und besänftigen und hören auch dann nicht auf, wenn es um sie selber geht und um Apfel in jeder Form. Den Männern geht es dadurch nur vorübergehend besser; anders geworden sind sie nicht. Sie grollen weiterhin wie Adam und meinen, wenn nicht an den Äpfeln, dann wenigstens an der Liebe zu ersticken, die ihnen ohne ihre Anstrengung gratis ins Haus fällt.

Damit ist die Geschichte auf die Füße gestellt, die Überlieferung – die Autoren waren bisher immer Männer – steht infrage, aber damit ist es auch höchste Zeit. Seit Jahrtausenden beispielsweise glaubt jeder an die rührende These, dass ausgerechnet das Geschöpf, das sich aufs Gebären versteht, aus einem kleinen Knochen von Adam stammen sollte.

Adam hat Eva geliebt, egal, woraus sie geformt ist, das steht fest. Aber er hat ihr nicht getraut: ihre wunderbare Wandlung in ein lichteres Wesen, ihr Abschied vom Tier, ist ihm unheimlich geblieben. Seine Zweifel hat er bis heute nicht verloren, Spuren einer Restbehaarung erinnern bei ihm noch weitaus mehr an der Ursprung. Und wie soll er auch- innerlich noch dem alten Tier verwandt – seine Sinne so kultivieren, dass er nicht jede Wolke in Evas Verantwortung schiebt? So verknallt, wie er in Eva sein kann, ist er in Adam immer: Liebe macht blind.

Der Film über den armen Adam und die unermüdliche Eva ist ein Lehrstück – und hoffentlich der Anfang einer neuen Geschichtsschreibung, an der nicht mehr nur die Männer beteiligt sein sollten. Da kommt noch mehr heraus als nur der Schwindel mit der Rippe.

Christa Maerker, 1986